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Erfolg beim Sprachenlernen – steh Dir nicht selbst im Weg!

Jeder, der schon einmal eine Sprache gelernt hat – also wahrscheinlich jeder von uns! – weiß, dass es oftmals ein mühsames und schwieriges, gelegentlich sogar unmöglich scheinendes Unterfangen sein kann. Man muss buchstäblich tausende von Wörtern lernen, sich durch einen vermeintlich undurchdringlichen Dschungel aus Grammatikformen und -tabellen kämpfen, sich womöglich noch ein fremdes Schriftsystem mit – im Falle von beispielsweise Chinesisch und Japanisch erneut tausenden – Zeichen aneignen, nur um wenigstens annähernd in der Lage zu sein, die Zeitung in der Fremdsprache zu lesen oder eine Unterhaltung zu führen, die über das typische „Hallo, wer bist du?“ oder „Ich hätte gerne ein Bier.“ hinausgeht. Die schiere Masse an zu lernenden Informationshäppchen ist erdrückend, und wenn es einem nicht gelingt, damit irgendwie klar zu kommen, verschwindet die anfangs so mächtige Motivation, die einen ursprünglich dazu gebracht hatte, dieses irrwitzige Unternehmen überhaupt anzugehen, in einem schwarzen Loch der Trostlosigkeit und Verzweiflung.

Die daraus resultierende, fatale Erkenntnis: Ich bin nicht zum Sprachenlernen gemacht. Suche ich mir also lieber ein einfacheres Hobby oder einen Beruf, bei dem ich keine Fremdsprachenkenntnisse brauche.

Wie schon geschrieben: die meisten Menschen in den ach so „hochzivilisierten“ Ländern haben die oben geschilderten Erfahrungen schon einmal machen dürfen. Und haben sich vielleicht tatsächlich vom Sprachenlernen abschrecken lassen. Demgegenüber stehen Millionen von Menschen, die mehrsprachig aufwachsen oder in deren Gesellschaftsstruktur Mehrsprachigkeit eine wichtige Rolle spielt. Da hat man nicht die Wahl zu sagen: „Das ist nichts für mich; das kann ich nicht.“ Und oft denkt man auch gar nicht darüber nach, denn in der Sprachwissenschaft ist es inzwischen common knowledge, dass Sprachenlernen dem Menschen angeboren ist! Jeder Mensch bringt das Handwerkszeug von Geburt an mit, das es braucht, um Sprachen zu lernen. Kleinkinder stellen das beim Erlernen ihrer Muttersprache(n) vortrefflich unter Beweis, aber auch Erwachsene können es in einer oder mehreren Fremdsprache(n) zu einer meisterlichen Beherrschung bringen. In diesem Artikel möchte ich ein paar Gedanken zu möglichen Hürden teilen, die beim Sprachenlernen auftreten können, und wie man sie überwinden könnte.

Mögliche Hürden

In meinem bisherigen Leben habe ich zahlreiche Sprachen gelernt, angefangen zu lernen, abgebrochen, vergessen und vieles mehr. Meine erste Fremdsprache in der Schule war Latein, und das hatte so einige Auswirkungen darauf, wie ich an das Lernen anderer Sprachen herangegangen bin und teilweise noch immer herangehe (dazu schreibe ich vielleicht mal einen eigenen Artikel). In meiner Schulzeit habe ich dann noch Englisch und Französisch belegt, und zumindest für je ein Schuljahr Chinesisch und Neugriechisch mitgemacht. Mit etwa 12 Jahren wollte ich – ausgelöst durch meine damalige Begeisterung für Karl Mays Orienterzählungen – Arabisch lernen, habe da aber direkt am Anfang eine Bruchlandung beim Erlernen der arabischen Schrift erlitten (und die ist auch heute noch meine Nemesis). Verschiedene Zufälle brachten mich dann auf die japanische Sprache, die ich ab 1998 angefangen hatte zu lernen und die meine bislang größte Erfolgsgeschichte im Bereich des Sprachenlernens ist, denn meine Begeisterung für diese Sprache brachte mich dann dazu, Japanologie zu studieren, und das wiederum hat den Weg bereitet, der nun in meinem Engagement für Qwyga gipfelt. Die Liste der Sprachen, die ich im Studium gelernt habe, ist lang, aber noch viel viel länger ist die Liste derjenigen Sprachen, die ich angefangen und frustriert wieder aufgegeben habe.

Ich behaupte jetzt einfach mal, dass ich im Laufe der letzten 20 Jahre jeden Fehler beim Sprachenlernen gemacht habe, den man überhaupt machen kann. Und ich kann daher auch jeden verstehen, der mit dem Erlernen einer Fremdsprache seine Probleme hat.

Sprechen wir also zunächst über mögliche Hürden. Die folgende Aufzählung ist natürlich nicht erschöpfend, zeigt aber meiner Ansicht nach gut, mit welch vielfältigen Hindernissen man sich konfrontiert sehen kann, wenn man eine Sprache lernt.

  • Schwierigkeiten bei der Aussprache
  • Probleme beim Merken von Vokabeln
  • Zu viele Vokabeln!
  • Grammatiktabellen
  • Abstrakter Zugang zu Grammatik
  • Persönliche Angst vor Grammatik
  • Angst vor dem Sprechen
  • Fremdes Schriftsystem
  • Lernschwellen
  • Motivationsprobleme
  • sich „verzetteln“ durch zu viele oder unpassende Lehrmittel

Puuh, was eine Liste! Ich bin sicher, jede*m/r Leser*in fällt noch der ein oder andere Punkt ein, den ich jetzt nicht aufgezählt habe. Ich möchte die oben genannten Punkte in diesem und einigen Folgeartikeln langsam abarbeiten und auf das ein oder andere Problem näher eingehen. Was sind die Ursachen für die Probleme? Wie kann man diese lösen oder ganz vermeiden? Wenn man sich die Liste anschaut, lassen sich recht schnell zwei Gruppen von problematischen Punkten identifizieren:

  1. Innere Hürden: Falsche Vorstellungen, was Sprachenlernen bedeutet; falsche Einschätzung der eigenen Fähigkeiten; Angst vor Sprachenlernen
  2. Externe Hindernisse: Faktische Schwierigkeiten, die einem die Sprache selbst entgegenstellt (schwierige Aussprache, komplexe Grammatik etc.) oder die aufgrund ihres Umfangs problematisch sein können (z.B. viel zu viele Vokabeln müssen gelernt werden)

Sprechen wir nun zunächst über einen Teil der inneren Hürden, die in uns selbst als Lernenden lauern und uns davon abhalten wollen (und oft auch können), unsere Wunschsprache schnell und nachhaltig zu lernen.

Man steht sich selbst im Weg

Bevor wir nun ins Detail gehen, ist mir noch ein Punkt besonders wichtig, der alle anderen überschattet: Der Mythos vom fehlenden Talent.

Viele Menschen, die auf Schwierigkeiten beim Sprachenlernen stoßen, oder gar nicht erst damit anfangen, sagen „Ich habe kein Talent dazu.“ Mit dieser schwammigen, nichtssagenden Aussage ist alles gesagt. Und eigentlich auch nicht, denn was soll das denn bedeuten? Ungeachtet der Tatsache, dass es wirklich in bestimmten Bereichen talentiertere Menschen gibt, schwingt in dieser Aussage vor allem die Idee mit, dass Sprachen nur von bestimmten Personen – eben den talentierten – erlernt werden könnten. Man teilt die Menschheit auf in den Kreis der sprachenlernenden Elite, die das dafür notwendige Talent mitbringt, und der breiten Masse, die es ungeachtet des aufgebrachten Aufwandes in einer Fremdsprache niemals zu etwas bringen wird. Wie schon oben kurz erwähnt, gehört das Sprachenlernen zur Natur des Menschen, und wer behauptet, er brächte hierfür die notwendigen Voraussetzungen nicht mit, beraubt sich mit einer recht bequemen (weil absolut inhaltsleeren) Ausrede der Möglichkeit, in neue Welten einzutauchen, fremde Kulturen zu erkunden und auch viel über die Eigenschaften der eigenen Sprache zu erfahren.

Absolut jeder kann Sprachen lernen!!

Wenn ich behaupte, ich hätte kein Talent dafür, heißt das vielleicht eher: „Ich habe keine Lust, eine neue Sprache zu lernen.“ – und das ist ja auch völlig in Ordnung. Ich selbst habe beispielsweise keine Lust, an meinem Automotor herumzuschrauben. Wer keine Sprache lernen will, muss das ja auch nicht (außer, der Beruf macht das erforderlich, dann ergibt sich hier natürlich ein Problem). Aber dann sollte man nicht ein Klischee aufwärmen und von fehlendem Talent sprechen, sondern ehrlich zu sich selbst sein. Sprachenlernen IST Arbeit, da muss man nicht herum reden. Und das schreckt manche Menschen ab. Alles gut.

Ein anderer Grund, weshalb man sich das nötige Talent abspricht, ist schwerwiegender: Man hat früher negative Erfahrungen beim Sprachenlernen gemacht. Häufig rühren diese aus der Schulzeit her: Schlechte Noten; ein schlechter Lehrer; eine Sprache, die einen nicht interessiert; ein Unterricht, der dem eigenen Lerntyp nicht gerecht wird und das Lernen unnötig erschwert… Diese und andere Faktoren bewirken oft, dass man an sich und seinen Fähigkeiten zweifelt und jegliche Lust verliert, sich mit Fremdsprachen zu beschäftigen. Das ist ein gefährlicher Trugschluss! Jeder kann Sprachen lernen, und wenn es beispielsweise in der Schulzeit nicht gut geklappt hat, dann sind äußere Faktoren verantwortlich, nicht die eigene Dummheit oder ein irgendwie geartetes fehlendes Talent. Nur wird uns im Schulsystem vermittelt, man selbst wäre zu faul, zu unintelligent, zu wenig motiviert, und das hindert uns daran, uns in das Abenteuer zu stürzen und eine Sprache so kennenzulernen, wie man selbst es eigentlich gerne möchte.

Wie ist das jetzt eigentlich mit dem Talent? Es gibt ja offensichtlich Menschen, die sich leichter tun beim Sprachenlernen als andere. Vielleicht kennt ihr ja auch jemanden, dem Fremdsprachenkenntnisse einfach zuzufliegen scheinen. Wenn wir uns daran machen, eine Fremdsprache zu lernen, starten wir alle mit unterschiedlichen Voraussetzungen: Jemandem, der bereits mehrere Fremdsprachen gelernt hat, fällt es leichter, eine weitere zu lernen, und wenn die neue Sprache verwandt ist mit einer bereits gelernten, dann kennt man viele Phänomene schon, und ein Großteil der Wörter klingt zumindest ähnlich, sodass der Lernaufwand geringer ist. Wenn jemand bereits drei Fremdsprachen SPRICHT, dann wird er auch in der vierten wahrscheinlich keine Schüchternheit an den Tag legen, die viele Lernende bei der Anwendung der Fremdsprache von sich kennen. In Unterrichtssituationen ist es auch so: Jemand, der mit dem Unterricht besser zurechtkommt, hat weniger Schwierigkeiten, die Sprachinhalte des Kurses zu lernen; aber das liegt einfach daran, dass der Stil des Unterrichts (Progression, Lehrperson, Übungsformate, Schwerpunktsetzung etc.) dem eigenen „Lerntyp“ eher entspricht als einem anderen Kursmitglied. Mit echtem Talent hat das wenig zu tun.

À propos „Lerntyp“: Der „Lerntyp“ per se existiert nicht. Wenn jemand sagt, er lerne am besten visuell und könne sich auf rein hörbasiertem Wege Sachen nicht merken, sagt das mehr über seine bisherigen Lernerfahrungen aus als über die tatsächliche Lern-Eignung. Wenn ein „visueller Lerntyp“, der Neues am besten schriftlich lernt, alles aufschreibt und sich dann so gleich merkt, dann befindet er sich in seiner Komfortzone. Natürlich wird diese Person auf diese Weise viele positive Lernerfahrungen machen, weil diese Art des Lernens inzwischen zur Routine geworden ist, aber andere Aspekte des Spracherwerbs könnten darunter leiden. So berichten viele hauptsächlich visuell Lernende, dass sie mit Hörverständnis und/oder Sprechen in der Fremdsprache so ihre Probleme haben. Man KANN sich aber auch an andere Wissensvermittlungsformen gewöhnen. Das habe ich selbst erfahren dürfen. Auch ich gehöre zu den visuellen Lernern und dachte immer, ich könne auditive Informationen einfach nicht abspeichern. Ich hatte das als natürliche (vielleicht genetisch festgelegte) Eigenschaft von mir akzeptiert. Dann saß ich in Yale in einem Sprachkurs für isiZulu (Südafrika), und die erste Hälfte des Semesters haben wir KEIN EINZIGES WORT aufgeschrieben. Alles lief mündlich ab. Und es hat geklappt! Anfangs war es schwierig für mich, und ich hatte auch gelegentlich richtiggehende Frustmomente, aber mit der Zeit gewöhnte ich mich daran, und es lief besser als erwartet. Ich möchte daher alle „Lerntypen“ da draußen ermutigen, auch einmal die eigene lerntechnische Komfortzone zu verlassen. Nach einiger initialer Mühe kann man so einige Beschränkungen, die man sich durch irgendwelche vorgefertigten Meinungen selbst auferlegt habt, überwinden.

Wir sehen: Viele Hürden beim Sprachenlernen errichten wir in uns selbst, weil wir irgendwelche gängigen Ansichten unreflektiert für uns übernehmen. Zwei wesentliche Vorurteile haben wir im aktuellen Abschnitt geklärt, nämlich das fehlende „Talent“ und den unerschütterlich feststehenden „Lerntyp“. Es gibt aber auch andere Aspekte beim Sprachenlernen, bei denen wir uns selbst im Weg stehen.

Ängste beherrschen das Lernen

Viele Menschen haben beim Sprachenlernen einen steten Begleiter: Die Angst, zu versagen. Man hat Angst, sich beim Sprechen zu blamieren; man befürchtet, die Grammatik niemals zu begreifen und gibt lieber gleich auf; man schreckt vor dem Vokabellernen zurück, weil man sich das alles sowieso nie merken kann. Versuchen wir einmal, diese Ängste einzeln anzusprechen.

Die Angst vor dem Sprechen

Viele von uns kostet es enorme Überwindung, eine Fremdsprache tatsächlich auch zu sprechen. Nicht in den eigenen vier Wänden vor dem Spiegel vielleicht (obwohl ich da auch schon von anderen Erfahrungen berichten kann ^^), aber im Kontakt mit anderen Menschen auf alle Fälle. Meistens entspringt diese Scheu, die Sprache anzuwenden, dem bewussten oder unterbewussten Gedanken, man wäre zu schlecht, und der Gesprächspartner könnte gelangweilt oder gar beleidigt sein von der Art, wie man seine Sprache verunstaltet. Man schämt sich geradezu der eigenen Unzulänglichkeit.

In den meisten Fällen ist diese Angst eigentlich unbegründet. Die allermeisten Menschen fühlen sich geschmeichelt, wenn man sie in ihrer Muttersprache anspricht anstatt auf eine Verkehrssprache auszuweichen. Es zeugt von großem Interesse für die Kultur eines anderen, wenn man die vielen Mühen auf sich nimmt, dessen Sprache zu lernen. Wenn man Glück hat, löst das sprachliche Entgegenkommen sogar Interesse und Begeisterung aus, und man hat bei der anderen Person schon einmal Bonuspunkte gesammelt. Sprachen öffnen Türen, heißt es, und in vielen Fällen stimmt das auch. Und seien wir ehrlich: Wenn uns eine ausländische Person in unserer Muttersprache anspricht, sind wir selbst auch froh oder dankbar. Was macht es da, wenn da ein starker Akzent im Spiel ist oder die Ausdrucksweise von Fehlern nur so strotzt? Mal im Ernst: Wer zählt denn schon beim Gesprächspartner nach, wie viele Grammatikfehler sich in einem Satz tummeln? Wahrscheinlich nur die wenigsten, denn das erste und wichtigste Ziel bei einem Gespräch ist die Kommunikation, und die funktioniert auch dann, wenn einer oder beide Gesprächspartner die verwendete Sprache nicht perfekt können. Und seid ihr eine besonders tolerante und gutmütige Person, oder seid ihr in der Hinsicht vielleicht normal? Wenn ihr bei anderen die Fehler nicht zählt, warum geht ihr dann davon aus, dass andere das sehr wohl machen?

Das weiß man wahrscheinlich auch, wenn man sprechscheu ist, und trotzdem fällt es schwer, über den eigenen Schatten zu springen. Man wähnt sich nun einmal trotzdem zu schlecht für ein vernünftiges Gespräch. Es gibt da ein paar konkrete Dinge, die man an dem eigenen Lernverhalten ändern kann, um diese Scheu etwas leichter zu überwinden:

  • Laut lernen!
    Viele Menschen lernen eine Sprache leise. Man liest leise Texte, man fragt sich Vokabeln im Geiste ab. Das sollte man ändern. Texte sollte man laut lesen, und auch Vokabeln laut lernen. Das trainiert nicht nur die Sprechmuskulatur und gewöhnt sie an die fremden Lautkombinationen, sondern auch nebenbei das Hörverständnis – man hört sich ja immerhin selbst. Und je öfter man laut Wörter und Sätze in der fremden Sprache äußert, desto normaler wird es für einen.
  • Sprechen üben mit sich selbst!
    Mit dem eigenen Spiegelbild zu sprechen, mutet zwar ein wenig fragwürdig an, kann aber helfen, Sprechangst abzubauen, ohne gleich ins kalte Wasser springen zu müssen.
  • Patterns lernen und üben!
    Wir werden weiter unten (und an gesonderter Stelle ebenfalls) noch auf den Sinn von Patterns zu sprechen kommen. Auf alle Fälle gilt hier ganz besonders: Nicht einzelne Wörter, sondern Satzbaustücke („Phrasen“) machen einen Satz/eine Äußerung aus. Und wenn man die als fertige Baustücke im Kopf gespeichert hat, muss man nicht mehr so lange überlegen, kann Sätze schneller bilden und gewinnt dadurch an Selbstvertrauen.

Letztendlich wird man irgendwann hoffentlich über den eigenen Schatten springen und entdecken, dass Sprechen auch wirklich Spaß machen kann. Das wünsche ich euch allen, die damit aktuell Probleme haben.

Die Angst vor den Vokabeln

Um im Alltag sinnvoll in einer Sprache bestehen zu können, sind zwischen 2000 und 5000 Vokabeln nötig. Einfache Gespräche und Lebensnotwendiges kann man mit 500 bis 1000 Vokabeln bestreiten. Das sind respektable und ehrfurchtgebietende Zahlen. Vokabellernen ist in jeder Sprache eine mühsame, aber notwendige Angelegenheit, und oft bleibt die Motivation auf der Strecke, wenn man sich mit diesen vielen einzelnen Vokabeln konfrontiert sieht.

Die traurige Wahrheit ist, dass man ums Vokabellernen nicht herumkommt. Das MUSS sein, wenn man in der Sprache irgendetwas reißen will, außer man möchte einfach nur aus der Sprache übersetzen – dann könnte man theoretisch jedes einzelne Wort nachschlagen. Das dauert aber ewig und macht ebenfalls wenig Spaß. Daher mein Vorschlag: Mit Vokabellernen anfreunden! Neue Vokabeln auf Karteikarten zu bannen und zu lernen kann auch den eigenen Sammeltrieb befriedigen. Und jedes Wort, das man gelernt hat, erweitert die Möglichkeiten, sich in der Zielsprache auszudrücken. Fortschritt ist hier unmittelbar spürbar!

Und dennoch bleibt das Vokabellernen eine anstrengende Angelegenheit. Glücklicherweise gibt es einige Möglichkeiten, das ganze etwas effizienter oder abwechslungsreicher zu gestalten:

  • Lesend lernen.
    Neue Vokabeln kann man auch gut lernen, indem man Texte, in denen sie vorkommen, häufig liest. Wenn man einen Text wie beispielsweise einen Zeitungsartikel zwei Wochen lang jeden Tag ein-, zweimal liest, prägen sich viele der darin vorkommenden, neuen Vokabeln praktisch automatisch ein.
  • SRS-Programme nutzen!
    SRS steht für „Spaced Repetition System“. Das ist eine Lernmethode, die davon ausgeht, dass man Vokabeln, die man besser kann, weniger oft wiederholen muss, um sie dauerhaft im Gedächtnis zu behalten, als Vokabeln, die schlechter sitzen (Eine grobe Übersicht zu SRS bietet folgender Artikel: https://en.wikipedia.org/wiki/Spaced_repetition). SRS-Programme erlauben, eigene Vokabelkarten zu erzeugen und den eigenen Gesamtwortschatz zu verwalten. Wenn man später zehntausende von Vokabeln gelernt hat, präsentiert einem das Programm immer noch jeden Tag nur diejenigen, die der Algorithmus zum Wiederholen errechnet hat. Im Idealfall sind das dann nur ca. 100 Vokabeln. Ich persönlich halte immer noch Anki (https://apps.ankiweb.net/) für das beste SRS-Programm.
  • Vokabeln auf mehreren Karteikarten repräsentieren!
    Wenn eine Vokabel auf einer Karteikarte steht, dann macht das irgendwann ein Tausendstel oder gar Zehntausendstel der gesamten Kartei aus. Die Chance, dass das Wort häufig genug erscheint, ist also 1:1000 oder 1:10000. Höhere Chancen hat man, wenn man die Vokabel in anderen Grammatikformen oder Beispielsätzen ebenfalls zum Einsatz bringt. Karteikarten mit Grammatikformen trainieren auch gleich Grammatik (mehr dazu unten).
  • Aktive Anwendung.
    Vokabeln möglichst aktiv nutzen! Sätze bilden, Übungen mit den Vokabeln machen. Vokabeln in Netzwerken zusammenbringen (Wortfelder, Mindmaps).
  • Labelling.
    Am einfachsten prägen sich Wörter ein, wenn man sie mit verschiedenen Lernkanälen oder Assoziationen verknüpft. Wer ein Wort nur schriftlich sieht, lernt das Wort nur auf einem Kanal. Wer es gleichzeitig hört (Stichwort: Audioaufnahme!), hat zwei Kanäle aktiviert, wer es zudem auch noch selbst ausspricht, nutzt drei Kanäle. Die Kombination mit einer bestimmten charakteristischen Bewegung, das Hervorrufen eines Bildes des gelernten Wortes vor dem geistigen Auge, oder die Assoziation mit einer bestimmten Emotion unterstützen das Lernen zusätzlich. Bei der nächsten Vokabellernsession einfach mal durch das Zimmer laufen und die Gegenstände benennen! Wörter, zu denen man einen persönlichen Bezug hat, z.B. weil man es mit einem persönlichen Erlebnis verbindet, prägen sich leichter ein. Besonders lange Wörter auch, eben weil sie aus der Masse der Vokabeln herausstechen – wer schon einmal Russisch достопримечательности („Sehenswürdigkeiten“) lernen durfte, weiß, was ich meine.
  • Schritt für Schritt.
    Ein typischer Fehler beim Vokabellernen ist es, dass man sich zu viele auf einmal vornimmt. Das menschliche Kurzzeitgedächtnis kann sich durchschnittlich etwa 7 Informationen gleichzeitig merken (https://karrierebibel.de/millersche-zahl/). Wer mehr neue Vokabeln auf einmal lernt, überfordert die eigenen Kapazitäten sinnloserweise. Lernt erst einmal 7 Vokabeln, und wenn ihr die könnt, lernt weitere 7. Danach hat man 14 Vokabeln gelernt. Das sollte für einen Tag ausreichen. Wenn man das hochrechnet, schafft man in der Woche 98 Vokabeln, das sind im Monat etwa 420. Und auf das Jahr gerechnet wären das mehr als 5000 neue Vokabeln!!! Das IST möglich, wenn man viel Zeit und Disziplin aufwendet. Man vergisst aber dabei, dass diese Vokabeln auch stetig wiederholt werden wollen. Und das kostet Zeit kostet Zeit kostet Zeit. Ich empfehle daher, langsamer vorzugehen:
    • 7 neue Vokabeln an einem Tag.
    • Am Folgetag nur wiederholen, keine neuen Vokabeln lernen. Damit wird gewährleistet, dass sich die Vokabeln vom Vortag noch einmal setzen können, ehe wieder neue Vokabeln hinzukommen.
    • So erreicht man 105 Vokabeln im Monat = 1260 Vokabeln im Jahr. Das ist durchaus realistisch und erzeugt ein gutes Verhältnis von neuen Vokabeln und Wiederholung.

Die Angst vor der Grammatik

Wer sich vor Grammatik scheut, hatte zumeist im Schulunterricht sehr theorielastige Sprachkurse. Besonders im altsprachlichen Unterricht (Latein, Altgriechisch) besteht ein Großteil des Unterrichts aus der Vermittlung von Grammatik. Und dieselbe wird zudem oft in Form von Flexionstabellen präsentiert. Den einen gefällt das, den anderen nicht.

Die gute Nachricht für alle, die mit so einer abstrakten Grammatikvermittlung nicht viel anfangen können: Zum Erlernen einer Sprache ist das eigentlich nicht notwendig! Die meisten Menschen unserer Welt lernen eine andere als ihre Muttersprache ganz natürlich und intuitiv, ohne auch nur einmal eine Grammatikerklärung zu hören oder zu lesen. Tatsächlich kann eine zu formalistische Grammatikvermittlung auch das tatsächliche Sprechvermögen in der Fremdsprache hemmen! Stellt euch selbst einmal die Frage: Hattet ihr viel theoretischen Grammatikunterricht in der Schule und scheut ihr das Sprechen? Da besteht wahrscheinlich ein Zusammenhang.

Profunde Grammatikkenntnisse haben selbstverständlich auch ihre Vorteile. Wenn ich ein tieferes Verständnis davon entwickelt habe, wie die Fremdsprache funktioniert (und das beschreibt nun einmal die Grammatik), kann ich leichter neue Konzepte erlernen, kann die mir bekannten Vokabeln in neuen, unbekannten Situationen auf mannigfachere Weise einsetzen, kann ich möglicherweise auch die Bedeutung mir noch unbekannter Vokabeln erschließen, und wenn ich in einem Gespräch oder einem Text mit unbekannten Strukturen konfrontiert werde, kann ich mir diese auf Grundlage der Systematik der Fremdsprache mit höherer Wahrscheinlichkeit erschließen. Außerdem kann ich eine Sprache schneller lernen, wenn ich mir eine entsprechend strukturierte Grammatikbeschreibung zur Hilfe nehme. Ein gewisses linguistisches Vorwissen und genügend Zeit und Motivation vorausgesetzt, ist es durchaus möglich, innerhalb von nur zwei Wochen genügend Latein zu lernen, um Caesars De bello Gallico grob lesen zu können – die grammatische Lernabkürzung macht’s möglich!

Gehört man nun jener gar nicht so seltenen Spezies Mensch an, die die genannten Argumente FÜR eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Grammatik der Zielsprache zwar rational akzeptieren können, sich aber dennoch nicht mit dem Gedanken an abstrakte Grammatikbeschreibungen und das Auswendiglernen von Flexionstabellen anfreunden wollen, so ist das völlig in Ordnung. Ein zu starker Fokus auf Grammatik kann – gerade in der Anfängerphase – eher das Sprechen verhindern, denn Sprechen sollen wir nach Möglichkeit spontan und intuitiv machen und nicht erst im Geiste einen kurzen Satz aus Einzelvokabeln und Grammatikelementen zusammenbasteln. Der Theoretiker mag sich an diesem Bausteinkasten, den Sprachen bereithalten, erfreuen; für jemanden, der an tatsächlicher Kommunikation interessiert ist, sind andere Inhalte relevanter.

Daher stellt sich nun natürlicherweise die Frage, wie man denn die Struktur der Sprache (die „Grammatik“) lernen soll, wenn man sie eigentlich nicht lernen (im Sinne von „sich mit ihr beschäftigen“) will. Hier zwei Ansätze:

  • Vervokabularisierung
    Das Wort gibt es, glaube ich, eigentlich nicht, aber es beschreibt perfekt, was ich meine: Bestimmte Grammatikphänomene kann man – anstatt sie als „Grammatik“ zu betrachten – wie Vokabeln einfach auf Karteikarten schreiben und so lernen. Statt beispielsweise im Spanischen eine Flexionstabelle mit den Verbformen auswendigzulernen, erstellt man für jede Form der wichtigsten Verben eine eigene Karteikarte. Also nicht nur „cocinar“ – „kochen“, sondern auch „cocino – ich koche“, „cocinas – du kochst“, „cocinamos – wir kochen“ usw. Das wirkt auf den ersten Blick wie mehr Arbeit: Statt einer Vokabelkarte (Infinitiv) habe ich nun je nach Sprache ziemlich viele. Es hat aber auch durchaus Vorteile: Wenn ich fragen will „was kochst du?“, kann ich einfach mein Vokabelitem im Gehirn aufrufen („cocinas“) statt die Form erst durch Kombination von gespeicherter Vokabel und Konjugationstabelle bilden zu müssen. Wenn es dazu noch eine unregelmäßig gebildete Form ist, muss ich mich nicht an die Unregelmäßigkeit erinnern, weil ich das Endprodukt fertig im Kopf gespeichert habe. Auch beim Hörverständnis ist es für das Gehirn leichter, ein bereits gespeichertes Element in genau der Form zu hören, als das Gehörte in abstrakte Einzelteile zerlegen und dann mit den gespeicherten Informationen abgleichen zu müssen. Zudem vermeidet man das Auswendiglernen der möglicherweise verhassten Flexionstabellen. Wenn ich meine vierzig häufigsten Verben mit allen Formen einzeln gespeichert habe, beginnt mein Gehirn unbewusst, aus den vielen Formen Regelmäßigkeiten und schließlich Regeln abzuleiten. Und irgendwann flektiere ich neue Verben automatisch.
  • Phrasen und Sätze statt Einzelvokabeln
    Die allermeisten Menschen lernen einzelne Wörter als Vokabeln. Also eine Vokabel „kochen“, eine für „Gemüse“, eine für „ich“ usw. Das ist durchaus sinnvoll, doch ich empfehle, neben diesen auch ganze Phrasen, also mehrere miteinander verbundene Wörter, als Einzel“vokabeln“ zu lernen. Oder auch ganze Sätze. Wenn ich den Satz „ich koche Gemüse“ in meiner Zielsprache lerne, dann habe ich nicht nur drei einzelne Wörter durch einen Vokabeleintrag abgedeckt, sondern auch gleich noch die dafür nötige Grammatik (z.B. Nominativ für „ich“, Akkusativ für „Gemüse“ und die entsprechende Flexionsform des Verbs). Und wenn ich mehrere Vokabeleinträge mit ähnlichen Phrasen habe („ich koche Suppe“ / „du kochst Gemüse“ / „wir kochen Fleisch“ etc.), dann fängt das Gehirn automatisch und unbewusst an, Regeln abzuleiten, ohne dass ich mir bewusst eine Regel anschauen muss. Wenn man darüber hinaus auch flüssig lesen, hörverstehen oder sprechen und sich nicht nur mit dem langsamen, akribisch genauen Analysieren beschäftigen will, dann hilft es ebenfalls enorm, viele abgespeicherte Phrasen im Kopf gesammelt zu haben, denn das Gehirn erkennt diese (oder ähnliche) zusammenhängenden Strukturen in Äußerungen und kann sie so leichter verstehen.

Fazit: Grammatik kann man lernen, ohne sie wirklich lernen zu müssen. Es erfordert nur ein wenig Arbeit. Die meisten Lehrbücher, Apps und anderen Lehrmedien (Sprachkurse etc.) sind nämlich durch unsere jahrhundertealte lateinisch geprägte Unterrichtstradition auf die explizite Vermittlung von Grammatik gepolt. Ideal besonders für die Sache mit den Phrasen sind daher Bücher, bei denen die Kommunikation im Vordergrund steht und nicht die Grammatik. Besonders ältere Lehrbücher bieten zudem oft „Pattern Drills“ in verschiedensten Ausprägungen als Übungsformate an. Da lassen sich dann gut einige der Sätze oder Teile von ihnen als Vokabel-Items missbrauchen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Beispielsätze in den Grammatikerklärungen wie Vokabeln zu lernen.

Sind die Ängste berechtigt?

Auf jeden Fall! Oft werden diese Ängste ausgelöst durch negative Lernerfahrungen in der Vergangenheit. Und selbstverständlich hat man dann diese Erfahrungen wirklich gemacht (keine Einbildung!), und sie wirken in uns nach. Es wäre vermessen, ihre Existenz oder ihren Einfluss auf uns zu verleugnen.

Und egal, was manche Lernprodukte einem weismachen wollen: Sprachenlernen ist schwierig. Es kostet viel Zeit, Mühe und Durchhaltevermögen. Man macht Rückschritte. Man vergisst immer wieder mal Vokabeln oder Grammatikregeln (oder Schriftzeichen, oder wie man bestimmte Laute ausspricht, oder wie man auf einen Gruß antwortet oder …). Viele erfahrene Lernende sprechen von Lernschwellen, also Punkten, bei denen man gefühlt ewig keine Fortschritte macht. Das kann einen auch nach Jahren investierter Zeit noch niederschmettern und demotivieren.

Mein Tipp an euch daher: Akzeptiert, dass das eine große Aufgabe ist, die ihr euch da vornehmt (/vorgenommen habt). Eine Sprache zu lernen dauert Jahre, vielleicht sogar ein Jahrzehnt. ABER: Es ist schaffbar für Jede(n) und sehr lohnenswert. Sprachenlernen verändert einen. Wir lernen durch das Eintauchen in eine fremde Sprache und die Kultur ihrer Sprecher ebenso viel über uns selbst.

Und es kann Spaß machen. Damit ihr das Unterfangen „Sprache lernen“ mit größtmöglichem Spaß angehen könnt, werden wir uns in weiteren Artikeln damit beschäftigen, WIE man das Lernen effizient gestalten kann.

Bis dahin eine schöne Zeit!

2 Antworten auf „Erfolg beim Sprachenlernen – steh Dir nicht selbst im Weg!“

Vielen lieben Dank für diesen wunderbaren Blog-Eintrag! Ich selber habe mich immer als jemanden gesehen, der es schwer hat eine neue Sprache zu erlernen. Meine erste unangekündigte Note in Englisch war direkt eine 5 und diese Erfahrung prägt mich bis heute.

Ich erkenne mich in so vielen angebrachten Beispielen wieder, dass ich kaum erwarten kann einen Versuch zu unternehmen, all diese Tipps anzuwenden.

Vielen Dank für die ehrlichen Worte. Ja, die Schule kann so einiges kaputtmachen bei der Freude am Sprachenlernen. Wenn der Blogeintrag da ein kleines Pflaster sein konnte, freut mich das sehr. Wir werden in künftigen Blogeinträgen noch mehr auf konkrete Tipps zum Sprachenlernen eingehen, und da ist dann hoffentlich auch wieder Nützliches dabei. Bis dahin wünschen wir Ihnen/Dir, dass sich die Freude am Sprachenlernen einstellt und lange anhält.

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